Gefördert durch die GfI
Untersuchungen zu invasiven tropischen Fischen in Deutschland – Das Gillbach/Erft-System
Neben geothermal erwärmten Quellen haben in den letzten Jahrzehnten auch Gewässer, die durch menschliche Aktivitäten thermisch belastet sind, das Interesse von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen auf sich gezogen.
Ein Beispiel ist der Gillbach, der durch die Rheinebene fließt – nur wenig erinnert hier an die Tropen – und trotzdem fühlen sich in dem hüfttiefen Bach Guppys, Antennenwelse und neuerdings auch Marienbuntbarsche wohl, überwintern und vermehren sich. WissenschaftlerInnen des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und zwei weiterer Leibniz-Institute erforschen im Gillbach, wie sich die Kühlwassereinleitung des nahe gelegenen Kohlekraftwerks und ausgesetzte Aquarienfische auf das Ökosystem des Bachs auswirken. Um die Pointe vorwegzunehmen: Aquarienfische gehören nicht in heimische Gewässer.
Impressionen – Links oben: Der Gillbach wird regelmäßig mit Netzen auf seine Fischfauna hin untersucht. Mitte oben: Gregor Kalinkat und Friedrich Wilhelm Miesen vor authentischer Kulisse. Rechts oben: Tilapia mariae aus dem Gillbach – eine Population mit allen Altersklassen konnte nachgewiesen werden. Links unten: Durch Fang-Wiederfang-Experimente mit UV-farbmarkierten Guppys konnte deren Populationsgröße bestimmt werden – auf den ersten 500 m gibt es im Sommer mehrere Tausend Individuen. Rechts unten: Guppys aus dem Gillbach.
Dieses Fließgewässer ist so besonders, weil es vor allem im Oberlauf ganzjährig eine Wassertemperatur von über 20 °C aufweist und dadurch einer Tier- und Pflanzengemeinschaft einen Lebensraum bietet, die sonst in Deutschland nicht natürlich vorkommen könnte. Verantwortlich hierfür ist die Einspeisung von warmem Kühlwasser aus dem Braunkohlekraftwerk Niederaußem. Erzählungen zufolge wurden schon kurz nach der Inbetriebnahme des Kohlekraftwerks erste Guppys im Gillbach gefunden. Eine erste wissenschaftliche Befischung im Jahr 1998 konnte ein umfassenderes Bild über die im Gillbach vorhandenen Arten geben: fünf einheimischen Arten und sieben exotische Arten wurden nachgewiesen. Neben den bereits erwähnten Guppys, Antennenwelsen und Marienbuntbarschen gibt es weiterhin Populationen von Nil-Tilapien, Zebrabuntbarschen, Neocaridina und Macrobrachium-Garnelen, sowie Turmdeckelschnecken und ausgedehnte Valisnerienbestände. Ab und zu sieht man aber auch Goldfische oder Kois.
Seit 2011 werden jährlich vom Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn Befischungen durchgeführt. Dadurch lässt sich feststellen, welche Arten sich im Gillbach etablieren konnten oder regelmäßig ihren Weg dorthin finden. In erster Linie sind es wahrscheinlich ausgesetzte Aquarientiere, die ihren Besitzern zu viel wurden, denn bis auf die Tilapien sind alle im Gillbach zu findenden Exoten gern gepflegte Aquarienbewohner oder, wie bei Goldfisch und Koi, auch Teichbewohner. Die als Speisefische bekannten Tilapien entstammen wahrscheinlich einer stillgelegten Aquakulturanlage, die einst ebenfalls das warme Wasser des Gillbachs nutzte. Das System hat einen hohen wissenschaftlichen Nutzen, da hier Invasions- und Ausbreitung-Prozesse im Detail studiert werden können.
Mehr zum Thema ist in den folgenden Publikationen zu finden:
Lukas J, Kalinkat G, Miesen FW, Landgraf T, Krause J, Bierbach D (2021) Consistent Behavioral Syndrome Across Seasons in an Invasive Freshwater Fish. Front. Ecol. Evol. 8: 583670.
Lukas J, Kalinkat G, Kempkes M, Rose U, Bierbach D (2017) Feral guppies in Germany – a critical evaluation of a citizen science approach as biomonitoring tool. Bulletin of Fish Biology 17: 13-27.
Lukas J, Jourdan J, Kalinkat G, Emde S, Miesen FW, Jüngling H, Cocchiararo B, Bierbach D (2017) On the occurrence of three non-native cichlid species including the first record of a feral population of Pelmatolapia (Tilapia) mariae (Boulenger, 1899) in Europe. Royal Society Open Science 4: 170160.
Sommer-Trembo C, Zimmer C, Jourdan J, Bierbach D, Plath M (2016) Predator experience homogenizes consistent individual differences in predator avoidance. Journal of Ethology 34 (2): 155-165.
Jourdan J, Miesen FW, Zimmer C, Gasch K, Herder F, Schleucher E, Plath M, Bierbach D (2014) On the natural history of an introduced population of guppies (Poecilia reticulata Peters, 1859) in Germany. BioInvasions Records 3: 175–184.
Bücher
Kempkes M, Lukas J, Bierbach D (eds.) (2018) Tropische Neozoen in heimischen Fließgewässern. Die Neue-Brehm Bücherei (NBB kompakt) 755, VerlagsKG Wolf, Magdeburg: 148 pp.
Lukas J, Bierbach D (2018) Häufigkeit von (sub)tropischen Arten in thermisch-belasteten Gewässern in Deutschland und Konsequenzen für die lokale Biodiversität. In: Korn, Dünnfelder & Schliep (eds.) Treffpunkt Biologische Vielfalt XVI. BfN-Skripten 487: 158-163.
Artbeschreibungen im „Fischartenatlas von Deutschland und Österreich – Fischfauna-Online“
Guppy Poecilia reticulata Peters 1859
Zebrabuntbarsch Amatitlania nigrofasciata (Günther 1867)
[wird ergänzt]
Hintergrundfoto: David Bierbach, GfI