Mit dem Klimawandel schwinden in Seen die Lebensräume
Pressemitteilung des IGB Berlin vom 03.06.21
Die globale Erwärmung erhöht die Temperaturen von Seen weltweit – finden die Lebewesen noch die Temperaturen vor, die sie zum Überleben brauchen? Forschende unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben die langfristigen Temperaturveränderungen in 139 Seen weltweit quantifiziert und damit rund 69 % des Volumens der Süßwasserlebensräume der Erde abgedeckt. Die Seen zeigen eine deutliche Verschiebung der Temperaturlebensräume, die einzelne Arten zum Überleben benötigen. Erwärmen sich die Seen, müssen Arten in andere Tiefen ausweichen oder ihr jahreszeitliches Auftreten umstellen, um ihren Ansprüchen an die Temperatur gerecht zu werden. Nicht alle werden in der Lage sein, diesen Wechsel zu vollziehen. Die Studie wurde heute in Nature Climate Change veröffentlicht.
Die meisten Lebewesen im Wasser sind wechselwarm – das heißt, sie passen ihre Temperatur an die Umgebungstemperatur des Wassers an. Dabei hat jede Art ihren individuellen Temperaturbereich, an den ihre Körperfunktionen wie Stoffwechsel und Fortpflanzung angepasst sind. Dieser Temperaturbereich bestimmt somit weitgehend, in welcher Tiefe und wann im Jahresverlauf Arten in Seen vorkommen.
Die Forschenden untersuchten, wie sich Temperaturlebensräume in Seen als Reaktion auf den Klimawandel bereits verändert haben – ob sie geschrumpft sind oder sich ausgedehnt haben. Dazu analysierten sie mehr als 32 Millionen Temperaturmessungen unterschiedlicher Wassertiefen – sogenannte Tiefenprofile – von 139 Seen weltweit. Sie bestimmten den Unterschied zwischen den aktuellen Seetemperaturen im Vergleich zu einer früheren Basisperiode. Die Veränderung der Temperaturlebensräume wurde als der Prozentsatz quantifiziert, der beim Vergleich der beiden Zeiträume verloren ging oder gewonnen wurde.
Für weniger anpassungsfähige Arten reduzieren sich die Lebensräume um fast 20 Prozent
Langfristige Änderungen der Wassertemperaturen führten zu einer durchschnittlichen Differenz von 6,2 % der Temperaturlebensräume zwischen den Zeiträumen 1978-1995 und 1996-2013. Die Differenz der Temperaturlebensräume stieg sogar auf durchschnittlich 19,4 % für Beispielarten, die auf eine Jahreszeit und eine Wassertiefe beschränkt sind.
„Die Veränderung der Temperaturlebensräume mag für generalistische Arten, die in einem breiten Temperaturbereich vorkommen können, kein Problem sein. Aber nicht alle Arten sind so anpassungsfähig“, erklärt Dr. Benjamin Kraemer, Erstautor der Studie vom IGB.
Seen sind wie Inseln oder Berggipfel – es ist schwierig, wechselnden Umweltbedingungen zu entkommen
Arten können mit dem Temperaturanstieg zurechtkommen, indem sie ihre Saisonalität oder ihre Aufenthaltstiefe innerhalb der Wassersäule ändern. Diese Anpassungen können jedoch durch ökologische Wechselwirkungen, Lebensansprüche oder begrenzte Ressourcen eingeschränkt sein. Zum Beispiel wachsen die meisten Algenarten am besten in den hellen oberen Wasserschichten von Seen. Fische können tiefere, kühlere Regionen von Seen nicht besiedeln, wenn es dort nicht ausreichend Sauerstoff gibt. Arten, wie Wasserflöhe, bei denen das Aufwachen von Überdauerungsstadien an die Tageslänge und die Wassertemperatur gekoppelt ist, haben wenig Spielraum, sich an veränderte Temperaturlebensräume anzupassen.
So können geeignete Temperaturlebensräume schrumpfen oder sich so weit ausdehnen, dass heimische Arten bedroht werden und sich invasive Arten ausbreiten. Die Schwarzmundgrundel ist beispielsweise eine invasive Art, die sehr gut mit verschiedenen Temperaturen zurechtkommt.
„Veränderungen des Temperaturlebensraums können sich in Seen deutlich auswirken, weil viele Seeorganismen – wie Arten auf Inseln und Berggipfeln – durch die Grenzen des Sees in ihrer Ausbreitung eingeschränkt sind“, erklärt IGB-Professorin Rita Adrian, die die Studie leitete, das Problem.
Seen in den Tropen sind besonders betroffen
Die Forschenden zeigten, dass Seen in den Tropen besonders von der Verschiebung der Temperaturlebensräume betroffen sind: „Wir hatten erwartet, dass arktische Seen und Seen in gemäßigten Breiten eine hohe Verschiebung der Temperaturlebensräume aufweisen, da in diesen Seen die Erwärmung der oberen Wasserschichten tendenziell höher ist. Das ist auch so. Was uns aber überrascht hat, ist, dass tropische Seen noch wesentlich höhere thermische Verschiebungen zeigen. Dies könnte sich deutlich auf die dort lebenden Arten auswirken, da die Temperaturtoleranzen von Organismen in den Tropen, wo die natürlichen Umwelttemperaturschwankungen niedrig sind, tendenziell geringer sind“, erläutert Benjamin Kraemer.
Das Schrumpfen und die Ausdehnung der Temperaturlebensräume machen deutlich, wie dramatisch sich der fortschreitende Klimawandel auf die Lebensgemeinschaften und die Biodiversität von Seen auswirken könnte.
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Kontakt:
Dr. Benjamin Kraemer
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Email: bkraemer(at)igb-berlin.de
Prof. Dr. Rita Adrian
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Email: adrian(at)igb-berlin.de
Publikation:
Kraemer, B.M., Pilla, R.M., Woolway, R.I. et al.: Climate change drives widespread shifts in lake thermal habitat. Nat. Clim. Chang. (2021). https://doi.org/10.1038/s41558-021-01060-3
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Hintergrundfoto: (c) IGB. Ein See hat verschiedene Temperaturen: Hier trennt die „Sprungschicht“ das wärmere Wasser der oberen Zonen von dem kälteren Tiefenwasser Foto: Michael Feierabend.